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Neuronaler Schaltkreis für reduzierte Nahrungsaufnahme bei hohen Temperaturen entschlüsselt

Studie zeigt neue Ansätze zur Therapie von krankhaftem Über- und Untergewicht auf
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(Wien, 28-03-2024) Steigen die Temperaturen, sinkt der Appetit: Das lässt sich nach einem winterlichen Saunabesuch ebenso feststellen wie an einem hochsommerlichen Tag im Freien. Dass die Nahrungsaufnahme bei akuter Einwirkung von Hitze reduziert wird, ist auch wissenschaftlich belegt. Die genauen Hintergründe dafür waren allerdings bisher nicht bekannt. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der MedUni Wien hat nun erstmals jenen neuronalen Signalweg beschrieben, der die Nahrungsaufnahme bei Hitze drosselt. Ihre Ergebnisse können potenzielle Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Therapien von Adipositas, aber auch von Anorexie liefern und wurden im Top-Journal „Nature“ publiziert.

Wie die Untersuchungen im Mausmodell zeigten, startet die Signalkaskade im Nucleus parabrachialis, dem „Thermostat im Kopf“, das für die Wahrnehmung der Temperatur zuständig ist. „In diesem Areal haben wir im Gehirn von Mäusen, die eine Stunde lang einer Temperatur von 40 Grad Celsius ausgesetzt waren, die Aktivierung spezieller Zellen beobachtet“, berichtet Tibor Harkany vom Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien, der die Studie in Zusammenarbeit mit Tamas L. Horvath von der Yale University School of Medicine (USA) geleitet hat.

Diese Zellen strecken ihre Fortsätze (Axone) in den Hypothalamus aus, wo jene Neurone sitzen, die die Nahrungsaufnahme koordinieren. Die Signalübertragung auf diese Neurone erfolgt aber nicht direkt, sondern über spezialisierte Zellen namens Tanyzyten. Tanyzyten kleiden die Wand des dritten Ventrikels, also eines der vier Hohlräume des Gehirns, aus und sind dafür bekannt, für die Kommunikation mit entfernten Zielen Signalmoleküle in die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit abzugeben. Im Gegensatz zu dieser allgemeinen Ansicht zeigten die Studienautor:innen, dass die nach außen ragenden Strukturen der Tanyzyten in das Hirngewebe eindringen und schließlich mit jenen Neuronen in Kontakt treten, die zur Nahrungsaufnahme anregen. „Der von uns entdeckte Signalweg zeigt also, dass die Einwirkung von Hitze nicht wie bisher angenommen das Sättigungsgefühl beeinflusst. Vielmehr wird über die Freisetzung eines bestimmten Wachstumsfaktors die Aktivität jener Gehirnzellen gehemmt, die zur Nahrungssuche und -aufnahme anregen“, präzisiert Harkany die Studienergebnisse.

Bewältigung von Temperaturextremen
Die Kerntemperatur zwischen 36,5 und 37,4 Grad zu halten, ist für den Menschen überlebensnotwendig. Deswegen setzt der Körper bei akuter Einwirkung von Hitze (wie auch Kälte) verschiedene Reaktionen in Gang. Reduzierte Nahrungs- bzw. Kalorienaufnahme ist eine dieser Bewältigungsstrategien bei hohen Temperaturen. „Mit der Entdeckung des zugrundeliegenden neuronalen Schaltkreises können wir die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet vorantreiben“, so Harkany. Aber nicht nur das: Eine Reihe von weiteren Experimenten bestätigte die Forscher:innen in ihrer Erkenntnis, mit den molekularen Komponenten und zellulären Kompetenzen des nun entschlüsselten Signalwegs potenzielle Ziele für die Entwicklung von Medikamenten zur Therapie von Adipositas, aber auch von Anorexie („Magersucht“) identifiziert zu haben. Die Hemmung bzw. Aktivierung des neuronalen Schaltkreises durch pharmakologische Interventionen könnte sich nach vertiefenden Forschungen als Behandlungsoption bei krankhaftem Über- bzw. Untergewicht herausstellen.

Publikation: Nature
A brainstem-hypothalamus neuronal circuit reduces feeding upon heat exposure;
Marco Benevento, Alán Alpár, Anna Gundacker, Leila Afjehi, Kira Balueva, Zsofia Hevesi, János Hanics, Sabah Rehman, Daniela D. Pollak, Gert Lubec, Peer Wulff, Vincent Prevot, Tamas L. Horvath and Tibor Harkany;
DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-024-07232-3

Neue Ansätze zur Therapie von krankhaftem Über- und Untergewicht

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